Interview mit Helga Posselt

Helga Posselt (* 1941 in Jablonec im heutigen Tschechien, + 10.01.2023)

Vier Jahrzehnte lang, von 1963 bis 2003, leitete Helga Posselt die Stadt- und Kreisbibliothek „Heinrich Heine“ in Schmalkalden. Nach dem Studium des Bibliothekswesens in Leipzig entschied sie sich für die Arbeit in einer öffentlichen Bibliothek und fand in Schmalkalden ihre Berufung. 

 Vier Jahrzehnte lang prägten Sie die Arbeit der Stadt- und Kreisbibliothek „Heinrich Heine“ in Schmalkalden. Welche Meilensteine sind Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben und was stand für Sie immer im Vordergrund? 

Im Vordergrund stand immer die Entwicklung eines guten Buchbestandes, um möglichst alle Wünsche der Benutzer erfüllen zu können. Als Stadt- und Kreisbibliothek hatten wir so gut wie alle im Jahr in der DDR erscheinenden Titel anzuschaffen, die von allgemeinem Interesse waren, wichtige und gängige Titel natürlich mehrfach. Zugunsten einer großen Titelbreite haben wir oft auf eine Staffelung verzichtet und konnten Mehrfachexemplare dann erst mit Hilfe von Zusatzmitteln erwerben, für die wir bei Stadt- und Kreisverwaltung immer dankbare Abnehmer waren. Leider gab es meistens erst am Jahresende Geld und dann war es schwierig die Bücher zu bekommen, die wir brauchten. Aber letztlich ist es mit Hilfe eines stets engagierten Kollektivs wohl immer gut gelungen, den Anforderungen gerecht zu werden. „Haben wir nicht“ wird wohl selten jemand bei uns gehört haben und wenn es um spezielle Literatur ging, gab es ja noch die Fernleihe. 

Das größte Problem war die beengte Raumsituation, die von Anfang an bestand und sich allmählich  verschlechterte. Diese Situation konnte erst nach 30 Jahren mit dem Einzug in die neue Bibliothek behoben werden. Das war dann ein echter Meilenstein. 

Immer im Vordergrund stand für mich, die Bibliothek gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen voranzubringen. Mir stand stets ein engagiertes und gut ausgebildetes Kollektiv zur Seite. 

 Die Bibliothek befand sich vor der Wende in mehreren Zweigstellen und Standorten über das Gebiet der Innenstadt verstreut. Wie würden Sie die Situation damals beschreiben? 

Eine Bibliotheksbesichtigung war gleichzeitig eine Stadtbesichtigung. Bis 1994 war die Stadt- und Kreisbibliothek auf mehrere Zweigstellen über das gesamte Stadtgebiet verteilt: Die Hauptstelle mit (Erwachsenen)Bibliothek befand sich zentral am Altmarkt 2, der Standort der Kinderbibliothek wechselte  mehrmals die Räumlichkeiten, am längsten war sie am Schmiedhof. Im Laufe der Zeit entstand auch eine Phonothek, die sich dann in der Steingasse befand, im Gebäude einer heutigen Fleischerei. Sanitäre Anlagen, die zudem unzureichend waren, gab es damals allerdings nur im Gebäude der Hauptstelle am Altmarkt. 

Der Bestand der Bibliothek wuchs in den 1960er bis 1980er Jahren enorm. Mehr und mehr Regale und Platzkapazitäten wurden benötigt, um diesen Bestand in Freihand zu präsentieren. Um immer mehr Bücher unterzubringen, packten wir schließlich noch jeweils eine Reihe Bücher oben auf die Regale, was dann dazu führte, dass die Regalreihen auf Grund der Enge wie ein Kartenhaus umgefallen waren. Als Nothilfe wurden danach die Regale an den oberen Seitenkannten mittels Eisen miteinander verbunden.  

Um die Buchversorgung der zahlreichen haupt- und nebenamtlich geleiteten Bibliotheken des Kreises zu optimieren, wurde schließlich die zentrale Einarbeitung eingeführt. Dazu erhielt die Bibliothek 2 Arbeitsräume in einem Gebäude der Hoffnung. Von hier aus wurde nun die Medienversorgung der ca. 40 Gemeindebibliotheken koordiniert. Die Bücher für die Ausleihe in den Gemeindebibliotheken wurden hier ausleihfertig bearbeitet. Neben ortsfesten Beständen erhielten die nebenamtlichen Bibliotheken des Kreises auch Austauschbestände, die nur zeitweilig in der Gemeinde verblieben und danach das Angebot in einem anderen Ort erweiterten. Wir waren wohl so etwas wie der Schrecken der Post, da der Fahrer der Stadtverwaltung unregelmäßig zu uns kam, um die Bücher zur Post zu bringen. Dementsprechend sehr groß und schwer waren dann die Lieferungen. 

Zusätzlich sollten diese Räumlichkeiten die Erwachsenenbibliothek am Markt entlasten. Hier verblieben nur noch die Sachbücher, die im aktuellen Haushaltsjahr angeschafft wurden. Alle anderen Sachbücher, die in früheren Jahren gekauft wurden waren, wurden in die Räumlichkeiten der Hoffnung transportiert. Im Laufe der Zeit wurde so der größte Teil des Sachbuchbestandes ausgelagert, der dann nur noch nach Auswahl am Zettelkatalog für die Leser zur Verfügung gestellt werden konnte. Das erschwerte natürlich die Arbeit der Mitarbeiterinnen weiter, weil täglich die am Vortag bestellten Bücher herbeigeschafft und schließlich in das Außenmagazin wieder einsortiert werden mussten. Das bescherte uns viel Transportarbeit, die überwiegend zu Fuß mit Beuteln und Taschen bewältigt werden musste und uns Bemerkungen brachte wie: "Wann arbeiten die Frauen der Bibliothek eigentlich. Die gehen ja nur einkaufen.“ 

Nach und nach erhielten wir mehr und mehr Räumlichkeiten im Gebäude in der Hoffnung. Eine einzige Wohnung war noch privat vermietet; die anderen Räume wurden durch die Bibliothek genutzt. Die alte Bausubstanz des Gebäudes und ein Plumpsklo machten es uns nicht immer leicht, aber wir hätten das Gebäude auch gern als Bibliothek ausgebaut. Vorausschauend wurden bereits erste Teile für eine moderne Sanitäranlage besorgt, die von der Gebäudewirtschaft irrtümlich entwendet wurden. 

Auch das Gebäude am Altmarkt 2, das als Erwachsenenbibliothek genutzt wurde, war nicht mehr tragbar. Wie wir durch Berechnungen nachweisen konnten, war die Traglastfähigkeit des Gebäudes überschritten. Dazu ermittelten wir das Gewicht der Bücher und Regale mit der Waage in der Wäscherei, indem wir eine Regalreihe wogen, das waren 28 kg, und errechneten daraus das Gesamtgewicht mit der Annahme, dass sich auf 1 m² zwei 1-m-Regale befanden und dazwischen noch eine Person. Das war eindeutig zu viel für das alte Fachwerkhaus. Allmählich wurden die Forderungen nach einem neuen Gebäude für die Bibliothek bei Stadt- und Kreisverwaltung etwas ernster genommen. 

Ende der 1980er Jahre bewegte sich dann endlich etwas. Die Bibliothek sollte in die Kemenate (Merkelsches Haus) umziehen. Die Bezirksleitung hatte etwas Großes vor: ein Literaturzentrum mit Volksbuchhandlung und Bibliothek in gemeinsamer Front im Herzen der Stadt. Leider kam auch dieses Vorhaben nicht zustande, denn über Nacht zog der Intershop ein. Die Planungen für dieses Projekt gingen dennoch weiter. Dann kam die Wende und mit ihr eine Erbin des Merkelschen Hauses. Das Projekt scheiterte damit. 

Gerade in den so verändernden Jahren der Wende- und Nachwendezeit haben Sie es geschafft, die Bibliothek in den kommunalpolitischen Fokus zu rücken und ein neues Gebäude für die Bibliothek und deren Leserinnen und Leser zu gewinnen. Was waren dabei die größten Herausforderungen? 

Ein großes Problem nach der Wende war die Auflösung des Bezirkes und der Kreise in ihren bisherigen Formen. Meiningen wurde Kreisstadt, Schmalkalden nun Stadt im Landkreis Schmalkalden-Meiningen. Einige Kreisstrukturen für den Altkreis sind dennoch geblieben, zum Beispiel im kulturellen Bereich. 

Die Idee, die Stadt- und Kreisbibliothek in einem Gebäude unterzubringen, wurde auch nach der Wende weiter verfolgt. Nun wurde der Hessenhof ins Auge gefasst. Die Planungen liefen bereits, da wurde überraschend das Gebäude der Berufsschule frei und Peter Handy (damals stellvertretender Bürgermeister der Stadt) fragte, ob dieses Gebäude nicht etwas für die Bibliothek sei. Natürlich – JA!!! 

Allerdings gab es grundlegenden Sanierungs- und Umbaubedarf. Da passte es gerade, dass der Stadtkämmerer der Partnerstadt Recklinghausen zu Gast war und unserem Stadtkämmerer dazu riet, mögliche Fördermittel zu nutzen. So standen auch finanziell in der damaligen Nachwendezeit alle Zeichen auf JA. 

Der Umbau und die Einrichtung des Gebäudes am Kirchhof 4 waren nicht einfach. Ich nahm an allen Bauberatungen teil. Das Konzept des Architekten Holzhauer wurde umgesetzt. Die Bibliotheksausstattung wurde komplett erneuert. Wir entschieden uns für den funktionalen Charakter und den hellen Stil der Regale eines Bibliotheksausstatters. Aber es konnte bei der Bibliotheksausstattung auch kräftig gespart werden: alte Einkaufswagen, die bereits angeschafft wurden, sind auch heute noch als Bücherwagen im Gebrauch. 

Und am Ende kam die Nachricht, die man heute fast nur noch umgekehrt kennt: Der Umbau war sogar billiger als ursprünglich veranschlagt! 

 Wie haben Sie und Ihr Team den Umzug bewältigt?

Das war ein großes Stück Arbeit. Zunächst musste fast der halbe Bestand ausgesondert werden, um in das Gebäude am Kirchhof einziehen zu können. Aber Hilfe kam von der Stadtverwaltung Schmalkalden.

Auch hatten meine Mitarbeiterinnen ja Übung im Umziehen. Jahrelang mussten die Bücher zwischen Altmarkt und Hoffnung in Beuteln hin und her transportiert werden.

Wie sehen Sie die Bibliothek heute? Was ist geblieben, was ist neu, was ist in Zukunft wichtig für die Bibliothek?

Worüber ich mich heute noch besonders freue: Die Heine Bibliothek wird in der Stadt wahrgenommen! Das ist wunderbar und zeigt, dass die Bibliothek auch heute noch zum Schmalkalder Leben gehört. 

Eine Bibliothek ist nichts Statisches, sie ist immer in Veränderung! Als ich hier anfing, gab es zum Beispiel noch nicht einmal Zeitschriften. Früher waren manche Bücher Mangelware, jetzt kann man überall welche bekommen, z. B. in alten Telefonzellen. Besonders in den 1960er bis 1980er Jahren war diese Arbeit oft sehr schwierig zu bewältigen. Auf dem Buchmarkt waren oftmals Titel nicht zu besorgen oder es fehlten die finanziellen Mittel für die Erwerbung. 

Neu ist heute die rasante Technik mit vielen neuen unterschiedlichen Medien. Dabei hat die Bibliothek weiterhin einen Bildungs- und Unterhaltungsauftrag. Die vielfältigen neuen Medien müssen entdeckt und den Nutzern zugänglich sein. Dazu benötigt man kompetentes und kundenorientiertes Personal. Gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren und sind elementarer Bestandteil einer guten Bibliothek. 

Ich sehe die Zukunft der Bibliothek so: Weiter am Ball bleiben! Immer auf das Publikum und die Zielgruppen einstellen. Den Hauptschwerpunkt dabei weiter auf der Kinder- und Jugendarbeit belassen, die anderen Zielgruppen dabei aber natürlich nicht vergessen.

Heute fehlt es den Menschen an Zeit. Die Bibliothek kann dazu beitragen, die kostbare Zeit sinnvoll zu nutzen. Die Bibliothek sollte ihr Konzept als Aufenthaltsort weiter verfolgen hin zum Wohlfühlort. Vielleicht sollte man die Idee des Lesecafés mit Kuchen und gutem Kaffee wieder aufgreifen.

Ich wünsche dem Team der Heine Bibliothek viel Spaß und Kraft für die Aufgaben der nächsten Zeit. 

 Das Team der Heine-Bibliothek bedankt sich für das Gespräch mit Helga Posselt. 

Das Interview entstand im Rahmen des Jubiläumsjahres 2019 und der Ausstellung „25 Jahre Stadt- und Kreisbibliothek Heinrich Heine Schmalkalden“

Schmalkalden im Mai 2019